Die DDR und ihre Mörder – ein Beitrag von Jana Scheiding
Hans Thiers war von 1973 bis 1990 Major der K in Gera und brachte 150 Mörder hinter Schloss und Riegel. In seinen Büchern berichtet er heute von spektakulären Fällen.
Er steht auf durchtrainierte, gut gekleidete, kluge Mädchen und eines Tages spielt ihm der Zufall direkt in die Hände. Anders als sonst verlässt die Neunjährige abends allein das Schwimmbad. Er spricht sie an, weckt mit einem Sportthema ihr Interesse. Die Schülerin aus Gera vertraut ihm. Ich will dir etwas im Stadtwald zeigen, sagt er. Sie denkt an ihre Eltern und deren eindringliche Bitte, nicht mit Fremden mitzugehen, doch letztlich siegt die Neugier. Es sind ja nur ein paar Schritte und was soll mit dem netten Mann schon passieren?
Der nette Mann ist ein Ingenieur aus Ronneburg. Beliebt im Betrieb, angesehen, höflich. Die Frauen nennen ihn „Inge“, weil er sich nicht verkuppeln lässt. Auch im Wohnort gilt er als ausgesprochen freundlich. Was niemand weiß: Der nette Mann ist ein Mörder. Er wird die hübsche Schwimmerin im Park vergewaltigen, würgen und erstechen. Anschließend wird er ihre Kleidung im Umkreis von einem Kilometer verstreuen und dann mit dem Betriebsbus nach Hause fahren, als wäre nichts geschehen. Als die Eltern ihr Kind als vermisst melden, durchkämmt Hans Thiers mit seinem Team und einer Spezialeinheit aus Rudolstadt den Stadtwald, bis einer der Kriminaltechniker durch sein Fernglas einen Arm aus dem Gebüsch ragen sieht. Der Mörder wird später – dank einer Zeugenaussage – weitere 30 pädophile Straftaten gestehen.
Dieser Fall aus den 1980er Jahren hat Hans Thiers abgestoßen und zugleich berührt. Aber er gehörte zu jenen Menschen, die sich mit Herzblut in die Kriminalistik knieten. „Ich habe in 17 Jahren viel Leid gesehen, doch ich musste die Emotionsebene aus- und die Verstandesebene einschalten, dabei hochprofessionell arbeiten, um nichts zu vergessen“, erklärt der ehemalige Kriminalist, der heute als Sachbuchautor thüringenweit mit seinen Büchern unterwegs ist.
Mit seinem Genre gut aufgehoben ist er bei dem Arnstädter Verleger Michael Kirchschlager, der Thiers und Kollegen oft zu Leseinterviews begleitet. „Ich kämpfe mit echten Kriminalisten gegen das Verbrechen, denn mit unseren Lesungen betreiben wir auch Prävention“, beschreibt er seinen Reiz an Texten über Mord und Totschlag. Zurzeit hat er neun Kriminalisten und sieben Kriminalhistoriker unter Vertrag. Sein nächster großer Event – gemeinsam mit Hans Thiers und dem Magdeburger Trickbetrugsspezialisten Lothar Schirmer – steht am 10. November im Gasthaus „Zur Henne“ in Arnstadt bevor, wo Besucher eine spannende Talkrunde erleben können.
150 Mörder brachte Thiers seinerzeit hinter Gitter, von 1980 bis 1990 war er Leiter der Morduntersuchungskommission (MUK) in Gera. Der Fall des dreifachen Knabenmörders Hagedorn war damals Anlass für personelle und technische Aufrüstung gewesen. „Jede MUK verfügte über einen B 1000 mit kriminaltechnischer Ausrüstung, einer Schreibmaschine der Marke ‚Erika’ samt Durchschlagpapier. Wir waren auf dem Stand des FBI“, erinnert sich Thiers. Aufgrund der 24-Stunden-Bereitschaft habe Gera zu DDR-Zeiten eine Aufklärungsquote von 98 Prozent gehabt – oftmals unter Mithilfe der Bevölkerung.