Fünf Jahre Thüringer Mord-Pitaval von Frank Esche

Thüringer Mord-Pitaval III. (1915 – 1960) – Erschreckliche Mord- und Übeltaten aus alten Thüringer Kriminalakten von Frank Esche, erschienen 2021 im Arnstädter Verlag Kirchschlager

Nachdem 2016 der 1. Band und 2017 der 2. Band des „Thüringer Mord-Pitaval“ erschienen sind, gab der für die Herausgabe von Sachbüchern zur Kriminalistik sowie Kriminal- und Rechtsgeschichte bekannte Verlag Kirchschlager 2021 einen weiteren Band der Reihe heraus.

Bei den für den dritten Band „Thüringer Mord-Pitaval“ akribisch ausgewerteten dutzenden Akten des Landesarchivs Thüringen und einiger Stadtarchive, befaßte sich der Autor mit 20 besonders spektakulären Mordfällen vornehmlich aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, die von Zeitgenossen nicht selten als sensationelle Ereignisse wahrgenommen, in den Gerichtssälen mit Spannung verfolgt wurden. Die Hauptverhandlungen zu den Schwerstverbrechen gerieten oft über die Grenzen Thüringens hinaus zu bedeutenden Medienereignissen, die die Gemüter der Prozeßbeobachter erregten.

Beim Lesen der Dokumente über an Grausamkeit kaum zu überbietenden Mordtaten, ging es Esche wie vielen Menschen, die damals in Scharen die öffentlichen Gerichtsverhandlungen besuchten und denen bei Schilderungen der Verbrechen, manchmal sogar direkt aus dem Mund des Mörders, ein Schauer über den Rücken lief. Meistens jedoch mußte die Wahrheit mühselig durch Beweise ermittelt werden. Das Geständnis war dabei aber immer die Königin der Beweismittel, wie in einem ZDF-Beitrag über die Kriminalgeschichte in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts so treffend gesagt wurde.

Waren es tatsächlich die „Goldenen Zwanziger“ oder gab es eine Kehrseite der Medaille? In dieser Zeit häuften sich Kapitalverbrechen.

Im dritten Band des Thüringer Mord-Pitavals werden diese Verbrechen in einer äußerst widersprüchlichen Zeit deutscher Geschichte nicht nur beschrieben, sondern wird auch den gesellschaftlichen Ursachen, der Psyche sowie den Motiven der Täter nachgegangen und gleichwohl den bedauerlichen Opfern eine Stimme gegeben.

Viele Menschen hatten das Grauen des I. Weltkrieges erlebt, ihre Gesundheit verloren. Soldaten kamen versehrt von den Schlachtfeldern zurück, wo es für Empathie kaum Platz gab, ja Morden wurde zur Überlebensstrategie des Soldaten im Schützengraben. Die Umstände des täglichen Abschlachtens hinterließen auch bei Thüringern tiefe seelische Spuren. Sie hatten Angehörige verloren, waren traumatisiert und verinnerlichten ein gefährliches Verständnis von Gewalt. Vornehmlich durch Massenarbeitslosigkeit nahmen soziale Unterschiede exorbitant zu. Während viele vor allem in der Nachkriegszeit und in Zeiten der Weltwirtschaftskrise nur dank Suppenküchen für Arme nicht verhungerten, und täglich im ständigen Überlebenskampf standen, lebten Vermögende oft in „Saus und Braus“, ließen zum Beispiel die prüden Moralvorstellungen der „Wilhelminischen Kaiserzeit“ fallen und feierten ausschweifend. Nach Jahren der Kriegsschrecken und Entbehrungen wollten viele Menschen nun das Leben in vollen Zügen auskosten, auch jene die nun glaubten durch Verbrechen an diesem neuen glamourösen Leben teilhaben zu können. In dieser Zeit der tiefgreifenden gesellschaftlichen Umbrüche und Kontraste stieg nicht nur die Zahl der Raubmorde.

Im vorliegende dritten Band des „Thüringer Mord-Pitaval“ ist auch von Beziehungstaten, wie zum Beispiel einem perfiden Doppelmord in Rabis, dem Revierförstertotschlag auf dem Rathsfeld, einer Strangulation wegen vorgetäuschter Schwangerschaft und einem Mord zur Befriedigung der Geschlechtslust zu lesen. Auch erfährt der Leser von einem Justizirrtum, der sich zu einem Justizmord entwickelte, einem Richter der selbst zum Massenmörder wurde, einem hohen Kriminalbeamten, der eine Frau erhängte und von einer im Wahn mordenden Frau.

In der Zeit der Weimarer Republik wurden zahlreiche Mörder für ihre Verbrechen zum Tode verurteilt und danach zu lebenslänglicher Zuchthaushaft begnadigt, die den Tätern die Option offen hielt, irgendwann wieder das Licht der Freiheit zu sehen.

Deren weiteres Schicksal ist der Öffentlichkeit meist im Verborgenen geblieben. Auch gab es dazu oft keinen Hinweis in den Gerichtsakten der thüringischen Archive. Durch umfassende Recherchen in verschiedenen Institutionen Deutschlands und des Arolsen Archives, International Center on Nazi Persecution, konnten deren Todesumstände oder weiteres Schicksal, zum Beispiel im Fall des nahe der Städte Rudolstadt und Saalfeld mordenden Albert Kellner nach 100 Jahren Ungewissheit, ermitteln.

Zwei der spektakulären Mordfälle seien hier in Kurzfassung dargestellt:

Der grauenhafte Massenmord in Jena

Es war ein Massenmord, ein schreckliches Familiendrama. Sieben Pistolenschüsse sollten am 24. März 1932, zwischen 23 und 24 Uhr wie später festgestellt wurde, einen der größten Justizskandale der Weimarer Republik auslösen! Es gab wohl kaum eine deutsche Tageszeitung, die nicht über die grauenhafte Mordtat in Jena berichtete. Nur Stunden nach der Tat, in der Nacht zwei Uhr, wurde der Präsident des Oberlandesgerichts Jena, Dr. Bruno Becker, geweckt und vom Jenaer Polizeidirektor Ferdinand Finke persönlich über die Ereignisse informiert. Eile war geboten, denn die Morde, so war denen mit dem Fall betrauten Kriminal- und Justizbeamten klar, hatten das „Zeug“ für einen beispiellosen Justizskandal, da es sich bei dem Mörder um den Oberlandesgerichtsrat Dr. Kurt Meurer in Jena handelte. Nichts hatte vorher auf die Gewalttat hingewiesen. Bei den Opfern handelte es sich um die Eltern des Dr. Meurer, dessen Gattin, seine beiden Kinder sowie die Frau des Oberlandesgerichtrates Dr. Ernst Rittweger. Der Täter hatte sich durch Selbsttötung der Strafverfolgung entzogen.

Bild: Tageblatt vom 26. März 1932.

Am 7. April 1932 wurde noch ein aufschlußreicher Nachtrag in der Personalakte Dr. Meurer aktenkundig. Eine Woche vor der Tat ließ er demnach die Tatwaffe von dem Waffenhändler Heinicke reinigen und holte sie ein oder zwei Tage vor der Tat ab. Dies deutete auf keine Kurzschlußhandlung Kurt Meurers, eher auf einen geplanten Massenmord hin. In dem Bericht wird hervorgehoben, dass in der Presse darüber spekuliert wurde, Meurer sei ein guter Schütze gewesen. Jedoch aus aller nächster Nähe Menschen durch Kopfschuß zu erschießen, dazu gehöre nur Kaltblütigkeit und außerordentliche verbrecherische Energie.

Der Revierjägertotschlag auf dem Rathsfeld bei Frankenhausen

Der Angeschuldigte 53jährige Revierjäger Oskar Helke, am 4. Februar 1865 in Eckartsberga geboren, zur Zeit der Tat wohnhaft im Jagdschloss Rathsfeld bei Frankenhausen, wurde wegen vorsätzlicher Tötung angeklagt und stand am 6. Dezember 1918 vor dem Schwurgericht Weimar. Der Mann hatte sich 1890 mit der Rudolstädterin Luise Wölbling verlobt. Als er vom Schwarzburgischen Oberforstamt Rudolstadt nach Thaleben versetzt wurde, knüpfte er ein Verhältnis mit der ortsansässigen Landwirtstochter Charlotte Gothe an.

Luise, die Oskar Helke im April 1892 ehelichte, erfuhr von dem vermeintlichen Seitensprung ihres Partners und hielt ihm diese Verfehlung häufig und heftig vor, auch nachdem er 1898 zum Jagdschloß Rathsfeld versetzt worden war.

Bild: Schloß Rathsfeld am 1. September 1908 (Quelle Schloßmuseum Bad Frankenhausen).

Am frühen Sonnabendmorgen des 27. Juli wurde Luise vom herbeigerufenen Forstassessor Krause in ihrem Schlafzimmer neben einem Kleiderschrank und einer Wäschemangel liegend tot aufgefunden. Ihr Kopf lag in einer großen Blutlache, ihre Hand barg einen Revolver, aus dem zwei Patronen abgeschossen waren. Auf Grund des dringenden Anfangsverdachtes wurde Oskar Helke noch am Abend des 27. Juli, gegen 22.30 Uhr, ins Amtsgerichtsgefängnis Frankenhausen überführt. Die Frankenhäuser Zeitung meldete am 12. Dezember 1918 unter der Überschrift: Vor dem Weimarer Schwurgericht… Oskar Helke hatte angeblich eine Geliebte, weswegen ihn seine Frau anspie, er tötete sie, erhält 4 Jahre und 6 Monate Gefängnis. Vermutlich hatte die vergleichsweise milde Strafe für den Revierförster ursächlich mit dem Treueverhältnis des Beamten Helke zu seinem einstigen, wenige Tage zuvor im Zuge der Novemberrevolution abgedankten schwarzburg-rudolstädtischen Fürsten Günther Viktor zu tun. Die Revolution in dem kleinen thüringischen Staat, die ohnehin dort sehr moderat verlief, hatte noch keine Veränderungen im Personal und der parteiischen Rechtsprechung der Justiz bewirkt.

Thüringer Mord-Pitaval, Band 3, 280 Seiten, 116 Abbildungen, ISBN: 978-3-934277-9

Frank Esche

Rudolstadt