Beschreibung
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Stephan Harbort Serienmörder: Mensch und „Monster“
Die legendäre Bean-Family – Ein schottischer Kannibalenclan (1436)
Gilles de Rais – Der Blaubart (1440)
Ein Gesang auf Peter Nirsch (1581)
Christman Gniperdoliga – Der tausendfache Raubmörder (1581)
Simeon Fleischer – Ein Heiratsschwindler (1581)
Das Wirtshaus des Greger Rühel (1583)
Peter Stubbe – Der Werwolf von Bedburg (1589)
Elisabeth Báthory – Heroine des Grauens (1614)
Melchior Hedloff – Der mörderische Wildschütze (1654)
Die Liehmann Familie – Gar abscheuliche Missetäter (1660)
Die Menschenschlächter von Kranove (1738)
Blaize Ferrage – Der Menschenfresser (1780)
Darja Nikolajewna Saltykowa – Die russische Báthory (1801)
Andreas Bichel – Der Mädchenschlächter (1808)
William Burke und William Hare – Die Leichenhändler (1829)
Die Giftmischerin Margaretha Gottfried (1831)
Swiatek – Der Kinderfresser (1849)
Helene Jegado – Die Frau mit der weißen Leber (1852)
Martin Dumollard – Der Werwolf von der Bresse (1860)
Anna Delpech – Der Ogre von Montauban (1869)
Mark Benecke Der Serientäter Luis Alfredo Garavito – Ein homosexueller pädophiler Sadist mit hoher Opferzahl
Leseprobe:
Mitte November 2006 veröffentlichten Experten das neu erstellte Profil des Jack the Ripper: Der Aufschlitzer war zwischen 1,65 und 1,70 m groß, stämmig und zwischen 25 und 35 Jahre alt. Der berüchtigte Verbrecher sei bei gesundem Verstand (was ich schwer anzweifle), beängstigend normal und doch der äußersten Grausamkeit fähig.
Jack the Ripper, der erste Serienmörder, der Dank eines geschäftstüchtigen Journalisten zweifelhafte Berühmtheit erlangte, fehlt in diesem Band. Seine schockierenden Metzeleien füllten in teils gut recherchierter Manier, teils sensationslüsterner Gier die Gazetten der damals bekannten Welt. Er schaffte den Sprung in die Medien und avancierte zum gefürchtetsten Verbrecher des 19. Jahrhunderts. Dabei zählte JtR eher zu den „unproduktiven“, den „Quantitativ eher zurückhaltenden“ Serienmördern! Das mag makaber klingen, aber gegen einen Christman Gniperdoliga, der fast 1.000 Menschen ermordete, war Jack the Ripper ein Waisenknabe. Und doch unterscheidet beide eines ganz entscheidend: JtR ist bekannt, Christman Gniperdoliga ist es nicht.
Zwar gibt es über solche „Ungeheuer“ wie Gilles de Rais, Elisabeth Báthory, Gesche und Jack the Ripper ausführliche Quellensammlungen, Biographien und Monographien, die rechtsgeschichtlichen Ansprüchen voll gerecht werden, aber eine Überblicksdarstellung der bekanntesten und zahlreicher – bisher unbekannter – historischer Serienmörder fehlt. Hier kann der Historiker, der mit Quellen arbeitet, die dem Kriminalisten und Kriminologen aber teilweise auch dem Journalisten schwer zugänglich sind, wertvolle Dienste leisten.
Zugegeben, einige Fälle, die aus Einblattdrucken stammen, wurden rein zufällig gefunden, wie etwa die Geschichten von Peter Nirsch (1581), Simeon Fleischer (1581), Greger Rühel (1583) oder den Menschenschlächtern von Kranove (1738), aber auch diese „Zufallsfunde“ wurden im Rahmen von kriminalhistorischen Recherchen gemacht.
Dieses Buch beansprucht keine Vollständigkeit, kann es auch nicht. Es versteht sich als Sachbuch, nicht als Fachbuch. Bekannte Raubmörder wie Jaspar Hanebuth (19 Raubmorde, 1653 gerädert), der Pariser Räuber Poulailler, auf dessen Konto und das seiner Bande 150 Morde gehen sollen (1735 gerädert), der Hundssattler (um 1745), der seine Opfer von Bulldoggen zerreißen ließ, Karl Masch (1864 hingerichtet), der sich an den ermordeten Frauen sexuell verging oder der Wiener Mädchenmörder Hugo Schenk und seine Bande (1884 gehängt) wurden in diesen Band nicht mit aufgenommen, da ihre Motive und Taten denen anderer Serienmörder ähneln und wir eine Auswahl treffen mußten. Gleiches gilt für die bekannten Giftmischerinnen Brinvillier (1667 hingerichtet, nachdem sie ihre Familie vergiftete) oder ihr deutsches Pendant Anna Margaretha Zwanziger (1811 hingerichtet), wobei hier angemerkt werden muß, daß der Giftmord keineswegs nur die Domäne der Frauen war. All die oben genannten und weitere Serienmörderinnen und Serienmörder werden in den nächsten Ausgaben der Historischen Kriminal-Bibliothek vorgestellt (Band 1: Der Mädchenmörder Hugo Schenk; Band 2: Die Engelmacherin Elisabeth Wiese).
Hunderte, vielleicht sogar tausende Serienmörder, die vom Mittelalter bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ihr Unwesen in Europa trieben, wurden bisher nicht erfaßt, ja dürften unbekannt sein. Ergänzend zu diesem Band sei DAS OBSCURUM – Mord- und Schauergeschichten aus Chroniken des alten Europa empfohlen. Hier finden sich zahlreiche Fallbeispiele und weitere Serienmörder, wie zum Beispiel Veit Jane, den Kindermörder von Triebel im Vogtland (um 1550), die Totengräber von Groß Zschocher (1582), ihre Kollegen in Gürau in Niederschlesien (1663) oder Franckenberg in Oberschlesien (1673), die durch Zauberei und Giftpulver tausende Menschen umgebracht haben sollen. Desweiteren zahlreiche mörderische Gastwirte, die ihren Gästen nicht nur den Geldbeutel nahmen. Hinrichtungsarten und Strafen sowie unterschiedlich motivierte Mordfälle, begangen von Rabenmüttern, Attentätern, Geldeintreibern und Kannibalen ergänzen diese Sammlung.
Aufgrund der besonderen Überlieferung mittelalterlicher bis frühneuzeitlicher Quellen in Form von Chroniken und Annalen (Jahrbüchern) werden Mörder hier nur vereinzelt erwähnt. Der Schwerpunkt mittelalterlicher Chronistik lag auf politisch-religiöser Geschichte. So erfahren wir beispielsweise über den Mörder Hans Briger, einem Fleischhauer zu Danzig, lediglich, daß er seinen Vater, seine erste Gattin und eine große Menge anderer Menschen aus bloßer Mordsucht ums Leben brachte. Der Büttel räderte ihn 1494 ganze drei Stunden (Kirchschlagers Criminal- & Curiositäten-Cabinett, Bd. 2, S. 87f.).
Die Gerichtsakten über den Prozeß des Gilles de Rais, die erhalten und dokumentiert in französischen Archiven liegen, stellen eine Ausnahme dar. Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts haben sich kaum Prozeßakten erhalten. Gleiches gilt für das beginnende 16. Jahrhundert, obwohl schon mit dem 16. Jahrhundert eine deutlich bessere Überlieferung einsetzt, die natürlich mit den Prozessen der Inquisition und der allgemeinen Verbreitung der schriftlichen Niederlegung von Prozessen zu tun hat. Aber auch hier müssen wir – wie im Fall des Peter Stubbe (1589) – auf weitere Quellenarten wie z. B. das Flugblatt oder ausländische Drucke zurückgreifen. Und dennoch finden wir in der Chronistik des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts schon einige Kriminalfälle überliefert. Für das 17. und 18. Jahrhundert ändert sich die Quellenlage und wir kommen in den Besitz schöner und zum Teil mit Kupferstichen ausgestatteter Drucke, wie z. B. die über Melchior Hedloff (1654) und die Liehmann-Familie (1660).
Zu der „Blutgräfin“ Elisabeth Báthory gibt es mittlerweile sogar eine ganze Quellensammlung! An dieser Stelle dürfen die Causes célèbres et intéressantes des Francois Gayot de Pitaval (1673-1743) nicht vergessen werden, eine Sammlung aufsehenerregender zeitgenössischer und historischer Kriminalfälle, die zwischen 1734 und 1743 in 20 Bänden herausgegeben wurden.
Deutlich besser, und das ist das Verdienst einiger herausragender Männer wie Paul Johann Anselm Ritter von Feuerbach (1775-1833), Julius Eduard Hitzig, Kriminalrat am höchsten preußischen Gericht (1780-1849) und dem Schriftsteller und Juristen Georg Wilhelm Heinrich Häring (Willibald Alexis, 1798-1871), um nur einige zu nennen, wird es mit den Überlieferungen im 19. Jahrhundert. Hier sind es die großen Sammlungen, Pitavale und Fachzeitschriften, die uns die berüchtigtsten Serienmörder überliefern, ja, die sie uns sogar schon kriminalpsychologisch näher bringen. Besonders seien hier der große Rechtsgelehrte und Schriftsteller Feuerbach und sein Beitrag über den Mädchenschlitzer Andreas Bichel (1808) genannt.
Das 19. Jahrhundert stellt zweifellos eine Wegscheide in der Quellenüberlieferung und fachlichen Beurteilung der Verbrechen und Verbrecher dar. Jetzt verfügen wir schon über Gerichtsprotokolle, Obduktionsberichte, Verhörabschriften, Kriminalberichte und psychologische Gutachten. Julius Eduard Hitzig beginnt 1828 die Annalen der deutschen und ausländischen Criminal-Rechts-Pflege (17 Bände bis 1837) herauszugeben, der wir den Fall der englischen Leichenhändler Burke und Hare entliehen. Seit 1842 erschien der Neue Pitaval Hitzigs und Härings. 524 historische und zeitgenössische Kriminalfälle wurden bis zur Einstellung der Sammlung im Jahre 1890 in insgesamt 60 Bänden behandelt – ein immenser Fundus. Weitere „Pitavale“ und Bearbeitungen folgten. Erwähnt sei hier nur der „Wiener Pitaval“ Ubald Tartarugas (1925).
Die Form der Rechtsprechung, die grausamen Folter- und Hinrichtungsmethoden (Räderung, Vierteilung, Pfählung etc.) sowie ihre rechtshistorische Entwicklung zur Gnade des Schwertes (Enthauptung) werden in den einzelnen Beiträgen behandelt. Facettenreich, wie überhaupt der gesamte Stoff, sind die Urteile. Wird eine adlige Dame geschont, ein adliger Verbrecher jahrelang gedeckt, so wird einem bäuerlich oder bürgerlichem Delinquenten schnell mit dem Rad oder dem Pfahl der Garaus gemacht. Herrschen bis zum 18. Jahrhundert die Räderung und Vierteilung vor, wandelt sich mit dem 19. Jahrhundert das Urteilsmaß in Enthauptung und auch hier gibt es Unterschiede, landestypische, rechtsgeschichtliche. Die Strafen werden „milder“. Für 520 Morde wurde Peter Nirsch über den Zeitraum von zwei Tagen hingerichtet. Man schnitt zahlreiche Riemen aus seinem Leib, setzte ihn auf ein heißes Rößlein, goß ihm heißes Öl in die Wunden, heißes Blei auf die Sohlen und gab ihm mit dem Rad 42 Stöße. Wahrscheinlich vierteilte man ihn noch. Luis Alfredo Garavito, der 300fache Kindermörder, könnte aufgrund kolumbianischer Rechtsprechung nach 40 Jahren sein Gefängnis verlassen.
Für die einleitenden Ausführungen zum grausigen Phänomen der Serienmörder danke ich Kriminalhauptkommissar Stephan Harbort (Düsseldorf), der zahlreiche Aufsätze und Bücher zu Serienmördern geschrieben hat und mit vielen Tätern in direkten Kontakt kam (www.stephan-harbort.de).
Die einzelnen Biographien zeigen in mehr oder weniger frappierender Weise den engen Zusammenhang zwischen Verbrechen und Gesellschaft. Besonders deutlich wird dies bei Gilles de Rais, Elisabeth Báthory und Darja Nikolajewna Saltykowa drei exponierte Vertreter der herrschenden Klasse, deren gesellschaftlicher Status ihre grauenvollen Verbrechen förderte und lange Zeit unbestraft ließ.
Aber auch Anna Delpech, die Kindermörderin, die aus der Ermordung armer Säuglinge und Kleinkinder ein Geschäft machte, steht stellvertretend für die Zeit der Verarmung weiter Schichten der untersten Klassen mit dem Beginn der Industrialisierung. Gleiches gilt für die zahlreichen Raubserienmörder. Eine Gesellschaft, die auf Profit und Gier ausgerichtet ist, wird immer zum Raub motivieren.
Doch es soll nicht Gegenstand dieses Buches sein, den Zusammenhang zwischen Verbrechen und Gesellschaft aufzuarbeiten, lediglich darauf hingewiesen sollte werden.
Die Abartigkeiten des Kannibalismus zu erklären, fällt deutlich schwerer. Sie zeigen, daß einige von „uns“ auf einer genetisch bedingten, die normale Evolution verlassende Entwicklungsstufe, stehen geblieben sind. Hinzu kommt bei einigen „Menschenfressern“ das Motiv des Hungers – also wieder ein gesellschaftliches Problem – im weiteren Sinne.
Der Fall Alfredo Garavito spannt in erschütternder Art und Weise den Bogen zwischen Geschichte und Gegenwart. Dr. Mark Benecke (Köln), aus zahlreichen TV-Produktionen als Kriminalbiologe und Sachbuchautor bekannt, zeichnet ein erschreckendes Bild der kolumbianischen Gesellschaft und einer ihrer Kreaturen, zu der nur wenige Menschen Kontakt haben (www.benecke.com). Auch ihm danke ich an dieser Stelle.
Wir haben die hier vorgestellten Biographien chronologisch geordnet, obwohl wir auch in Raubserienmörder, Kannibalen, Sexualstraftäter und Giftmörderinnen hätten untergliedern können. Aus mehreren Gründen entschieden wir uns jedoch für die erstere Variante. So kann der Leser besser die Entwicklung der Gerichtsbarkeit nachvollziehen, kann leichter politische, wirtschaftliche und kulturelle Ereignisse zuordnen, erkennt einfacher „Trends“ oder immer wiederkehrende Motive und Tathergänge. (…)
Michael Kirchschlager, ca. 250 Seiten,
ISBN 978-3-934277-13-7, 40 Abbildungen,
Hardcover, Fadenheftung, Leseband